Pro Billy!

Jan 13
Posted by

Bei Medien und Fans bleibt die Fairness immer schneller auf der Strecke. Der Sportsgeist und die vielzitierte ‘bedingungslose Unterstützung’ sowieso.

Es wird Zeit, dass endlich wieder die Kugel rollt. Nicht nur weil die Winterpause gewaltig an den Nerven zerrt, insbesondere an denen vom ersten Saisonteil der Eintracht so verwöhnten SGE-Fans. Es kann gar nicht schnell genug wieder losgehen. Aber auch das Winterloch kostet Nerven, es werden Themen hochsterilisiert, die keine sind, aus lauer Luft Wind gemacht und aus Halbwahrheiten Headlines und ganze Artikel. Nutzer von Foren und sozialen Netzwerken tun ihr übriges.

Ein Thema geht einem da besonders gegen den Strich, schon während der Hinrunde aber insbesondere jetzt, während der Winterpause. Das offenkundig sinnlose, unfaire und auf Thekentrainer-Thesen basierende „Gebashe“ von Spielern wie Occean und jetzt auch schon Russ. Ihr liebe Leut‘, Freunde des gepflegten Ballsports. Die Eintracht ist punktgleich mit dem Meister viertbester Bundesligist. Sie spielt die beste Hinrunde seit 19 Jahren. Hat einen Bundesliga-Rekord aufgestellt mit vier Siegen als Aufsteiger in den vier Auftaktspielen. Warum also mit dem Mikroskop das Haar in der Suppe suchen, wenn es doch so viel Gutes zu berichten gibt? Wieso einen Stürmer niederschreiben, der weiß wo das Tor steht und Teil ebenjener erfolgreichen Mannschaft ist? Und einen Neuzugang in der Abwehr gleich mal kategorisch abschreiben, bevor er sich überhaupt an die Mannschaft herangetastet hat, geschweige denn das erste Mal überhaupt unter Wettbewerbsbedingungen gegen den Ball getreten hat?

Früher, auf der Haupttribüne des altehrwürdigen Waldstadions, da wurden die Dauerlästerer ob ihrer Kopfbekleidung die „Ledermützen“ genannt. Sie schimpften ohne Punkt und Komma auf den Stürmer, der auf dem Platz stand, forderten zwischendurch den Kopf des Trainers weil er ebenjenen Stürmer nicht auswechselte und wenn dann ebenjener Stürmer ein Tor schoss, klopften sie sich gegenseitig auf die Schultern und hatten es ja schon immer gewusst – dass der ein Guter ist. Anthony Sabini lässt grüßen. Dieser Tage gibt es eine ganze Menge jener Ledermützen und Hobbytrainer, die ins Horn der mitbabbelnden Allgemeinheit blasen, dass da tönt „Der kann nix!“. Eingeschossen haben sie sich während der Hinrunde und insbesondere jetzt in der Winterpause auf Olivier Occean, und zu Teilen auch schon auf Marco Russ, den Heimkehrer, obwohl der gerade erst verpflichtet wurde.

Leude, Leude. Oliviér Occean hat ganze 13 Einsätze gehabt in der Bundesliga-Hinrunde bzw in der obersten Spielklasse überhaupt, und das anderthalb Jahre nachdem er noch in der 3. Liga kickte. Von diesen 13 Spielen wurden 7 gewonnen, 2 unentschieden gespielt und 4 verloren. Occean trug seinen Teil zum Bundesliga-Rekord an den Spieltagen 1 bis 4 bei, wurde erst im 4. Spiel in Nürnberg verletzt ausgewechselt. Er ist Teil dieses Teams, was seine Mitspieler auch geschlossen demonstrierten als er gegen Bremen ein Tor vorbereitete, indem sie ihm danach komplett gratulierten. Und wenn man sich ein wenig mit seiner aktuellen Saison beschäftigt und eben nicht einfach mitpöbelt, kommt ein entscheidender Faktor mit dazu. Im Oktober war „Billy“ für zwei Spiele Kanadas in der Quali für die WM 2014 nominiert. Das erste wurde zwar 3-0 gegen Kuba gewonnen, aber die Kanadier vergaben massig Torchancen – ein hohes Ergebnis wäre für das Torverhältnis sehr wichtig gewesen. Occean wurde zu allem Überfluss wegen einer Berührung des gegnerischen Torwarts (nach einem Tor wollte er schnell den Ball aus dem Netz holen) zu Unrecht und aufgrund einer Konzessionsentscheidung des Schiris des Feldes verwiesen. Im immens wichtigen letzten Spiel gegen Honduras musste er also mit ansehen, wie sein Nationalteam mit einer historischen 8-1 Schlappe baden ging, er konnte aufgrund der Sperre seiner Mannschaft nicht helfen und der Traum von der WM war geplatzt. Wohl seine letzte Chance, als Spieler zu einer WM zu fahren.

Das hat ihm sicher einen Knacks gegeben, verständlicher Weise. Was folgte war die November-Krise der Eintracht, für Occean gab es Niederlagen gegen Stuttgart, Bayern und Mainz sowie Unentschieden gegen Fürth und Schalke (teils nach Einwechslungen) und einen Kurzeinsatz beim Sieg gegen Augsburg. Da spielte er sicherlich nicht gut, aber das kann man von den wenigsten Eintracht-Spielern in dieser Saisonphase behaupten, Kevin Trapp vielleicht ausgenommen. Beim Unentschieden gegen Fürth konnte man Pfiffe gegen Billy vernehmen, übrigens auch gegen Alex Meier dafür, dass er einen Ball am eigenen Strafraum mal quer spielte. Hallo? Da steht die Eintracht am 10. Spieltag als Aufsteiger auf dem dritten Tabellenplatz, es gibt ein Unentschieden zu Hause und die eigenen Leute werden ausgepfiffen – geht’s noch?

Warum stärkt man einem Adlerträger, der sich schwer tut und als Stürmer scheinbar in einem Loch steckt, denn nicht mal den Rücken, unterstützt ihn, feuert ihn an, gibt ihm Rückendeckung? Alle großen Stürmer haben Flauten, ob sie Gomez, Klose oder Huntelaar heißen. Stichwort ‚Gedankengefängnis‘. Und nochmal, in England beispielsweise sagt man, dass ein neu in die Premier League wechselnder Spieler im Schnitt eine Saison braucht um „anzukommen“ und sich an die Schnelligkeit und Gangart der Liga zu gewöhnen. Occean hat vor zwei Jahren noch gegen Heidenheim, Erfurt und Wehen-Wiesbaden gekickt, jetzt sind es Leverkusen, der HSV und die Bayern. Gebt ihm Zeit, Leute, wir sind doch auch so auf Europapokal-Kurs. Dass er weiß, wo das Tor steht hat er bewiesen – 16 Tore und 3 Assists für Offenbach sowie 17 Tore und 9 Assists für Fürth letzte Saison sprechen eine eindeutige Sprache. Das sind 45 Torbeteiligungen in 63 Spielen. Und sollte man sich an seiner Offenbacher Vergangenheit stoßen (die zugegebener Maßen erst einmal verarbeitet sein will) dann müsste man einen Rode genauso vom Hof jagen wollen. Und dürfte einen Bein und einen Weber nicht in die Hall of Fame der Eintracht loben.

Die grüne Bild betitelt also in bester Ledermützen-Manier die Occean-Wasserstandsmeldung aus Abu Dhabi mit „Das große Missverständnis“. Und interpretiert ein Lautwerden von Coach Veh im Training als „verzweifeln an seinem Wunschstürmer“, unkt, dass es ja „schon vor dieser Spielzeit Bedenkenträger gab, die skeptisch waren ob Occeans Erstligatauglichkeit.“ Wir ham’s ja schon immer gewusst. Das Interview desselben Blattes mit dem SGE-Cheftrainer wird selbstredend dominiert von Fragen nach der Bundesliga-Tauglichkeit des Stürmers, dass er von der Rolle sei, ob er denn in Leverkusen in der Startelf stehe. Da mag ganz offensichtlich ein Journalist oder gar eine Redaktion einen Spieler nicht. Schade nur, dass viele Fans darauf anspringen. Im hoch geschätzten Eintracht-Podcast gab es Stimmen, die Occean nach dem Fürth-Spiel niederredeten (allerdings sprach man sich auch gegen Pfiffe gegen die eigenen Spieler aus). Twitter-User mosern nach der Auswechslung in einem Trainingslager-Testspiel (!) „#Occean anscheinend wieder nichts gerissen! Das gibts doch gar nicht! So wie der Fussball spielt, möchte ich mal Urlaub haben.“ – wohlgemerkt ohne die Gründe für die Auswechslung zu kennen.

Nicht erst seit Funkel, Köhler und Meier wissen wir, dass das pauschale Gedisse, Gebashe und Verdammen zum neuen Frankfurter Volkssport geworden ist. Ich werde nie vergessen wie bei der Einwechslung Markus Steinhöfers im Spiel gegen den KSC ein gellendes Pfeifkonzert durchs Stadion hallte. Warum? Weil ein gewisser Caio eben nicht eingewechselt wurde. (Übrigens war Steinhöfer im Spielverlauf an beiden Treffern beteiligt, die das extrem wichtige Spiel drehten.) So etwas würde es in England nie geben, da gibt es bei fast jedem Spielerwechsel Applaus für den Ausgewechselten. Ich behaupte auch einfach mal, dass es so etwas bei Borussia Dortmund nie geben würde. Aber wahrscheinlich ist Fair Play und Respekt im modernen Fußball und im Quoten-, Auflagen- und Userzahlen-orientierten Mediengeschäft nur noch etwas für die Romantiker.

Es wird Zeit, dass endlich wieder die Kugel rollt. Dann können wir endlich – hoffentlich – wieder anfeuern, jubeln, tanzen und singen.

Pro Billy!

In diesem Sinne,

Ihne Ihrn Schobbeblogger

 

When The Going Gets Tough The Tough Get Going / Billy Ocean:

http://www.youtube.com/watch?v=W0fToo3hfZo

Filed Under: Allgemein